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Foto: Georg Biemann |
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VINEGAR aus Köln gehörten zu den Vertretern des progressiven Rock in Deutschland.
Im November 1968 traf Wolfgang Grahn (*1950 in Betzdorf an der Sieg) auf Jochen Biemann und Bernhard Liesegang (*1949 in Bassum bei Bremen), die, von der selben Schule kommend wie er, inzwischen schon an der Uni waren. Die drei beschlossen, als Gruppe zu spielen. Zwar waren ihre Fähigkeiten damals noch gering, doch brachten sie sich das Notwendige selbst bei. Wolfgang Grahn übernahm das Schlagzeug, Jochen die Gitarre, Bernhard Liesegang Bass und Gesang. Besonders in der Anfangszeit der Gruppe tauschten Bernhard und Jochen bei einzelnen Stücken ihre Instrumente auch gegeneinander aus. Etwas später stieß Dagmar Dormagen hinzu, eine Freundin von Wolfgang, die bei ihm um die Ecke wohnte. Sie spielte Flöte und sang. Als Gruppennamen wählten sie Vinegar (Essig), denn sie wollten schwer verdauliche Musik spielen, kein süßliches Zeug. Einige weitere Leute waren nur kurzzeitig und lose dabei, bis Ende 1969 Rolf Zwirner an der Gitarre und Violine sowie Anfang 1970 Ralf Modrow (*1951 in Halle an der Saale) an der Orgel und als weiterer Sänger hinzukamen. Damit stand die endgültige Besetzung von Vinegar fest. Der Übungsraum lag im Haus von Bernhard Liesegangs Eltern.
Am 11.10.1970 traten sie zusammen mit anderen Gruppen aus dem Kölner Raum beim “Pop-Festival im Action-Center” auf der Photokina Messe, Köln-Deutz, Halle 14 auf und kamen beim dortigen Wettbewerb auf den dritten Rang. Unter den Zuhörern war auch Günter Purrmann, Sohn des Verlagsinhabers Werner Purrmann aus Unterjesingen bei Tübingen. Der Verleger war so begeistert von ihnen, dass er sie zu Plattenaufnahmen einlud. Diese fanden am 9.1.1971 im Studio Rottenburg statt, unter Leitung von Kurt Schuh. Die fünf Stücke, die gemeinsam im Proberaum aus den Ideen der einzelnen Gruppenmitglieder entwickelt worden waren, wurden noch im gleichen Jahr als LP “vinegar” (Phono Verlag WP 710101 / Resco TST 76992) veröffentlicht, in einer Auflage von 1000 Stück, gefertigt vom Presswerk der Teldec Hamburg. Die Verlagsrechte lagen beim inzwischen verstorbenen Werner Purrmann.
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Günter Purrmann |
Die von der Gruppe gestaltete Hülle zeigt als siebentes Mitglied den geheimnisvollen Ambrosius Gulbatscher, einen selbst gefertigten Wichtel, der im Hause der Liesegangs auf der Treppe zum ersten Stockwerk lebte. Durch seinen aufreizenden Charme hatte er es in kürzester Zeit geschafft, zu den sieben ständigen Mitgliedern von Vinegar zu gehören.
Die fünf Stücke der Langspielplatte sind in der Tat nicht leicht zugänglich. Sie erschließen sich erst nach mehrmaligem Hören. Noch im gleichen Jahr war es mit Vinegar vorbei. Der Grund waren unterschiedliche Auffassungen über die weitere musikalische Entwicklung.
Anna Z. war seit Sommer 1970 Mitglied der Gruppe Vinegar. Der erste gemeinsame Auftritt fand am 22.10.1970 im Hatsch in der Kyffhäuser Straße in Köln statt. Sie ist bei einigen Stücken des Tabernakel-Tapes zu hören.
An den Aufnahmen für die Langspielplatte nahm sie leider nicht teil.
Nach der Auflösung der Band wandte sie sich der klassischen Musik zu und sang jahrelang in großen Chören mit, u.a. im Philharmonischen Chor Köln.
Wolfgang Grahn spielte anschließend Jazzrock, Bernhard Liesegang sammelte Erfahrungen mit verschiedenen Musikrichtungen in anderen Band-Formationen, Ralf Modrow ging zunächst bei Maharishi Mahesh Yogi in die Lehre und war danach einige Zeit als Meditationslehrer tätig. Nachdem er in den letzten Jahren wieder in verschiedenen Bands als Keyboarder aktiv war, arbeitet Ralf zur Zeit an eigenen Musikprojekten. Dagmar Dormagen kam 1974 auf tragische Weise ums Leben. Ihrem Andenken haben die Künstler die Wiederveröffentlichung der LP gewidmet, die mittlerweile als CD mit einer Startauflage von 1000 Stück bei Garden of Delights erfolgt ist.
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Dagmar Dormagen †1974 |
Ralf Modrow erinnert sich: „Das war schon eine ziemlich verrückte Zeit damals. Samstags war Proben im Keller der Liesegangs angesagt. Rolf und Jochen entlockten ihren selbstgebauten Verzerrern, die, soweit ich mich erinnere, in Holzkistchen oder Blechdosen eingebaut waren, immer neue Klangvarianten. Wollte man etwas daran verstellen, brauchte man hierfür einen Schraubenzieher. Aus meiner selbst zusammengelöteten Dr.-Böhm-Orgel ertönte, je nach Stellung der Register und Lautstärkeregler, gelegentlich und unvorhersehbar ein in der Nähe gelegener Mittelwellensender. Darunter mischten sich dann Wolfgangs filigrane Schlagzeugfiguren und der Gesang von Dagmar, deren Stimme mich, wenn ich sie heute höre, immer etwas an die von Nico erinnert, die ich ebenfalls sehr schätze. Wenn Bernhard nicht gerade am Bass arbeitete, blies er auch schon mal auf einem Waldhorn und rundete hiermit das ganze Klang-Geschehen auf eine sehr individuelle Weise ab.
Mitunter standen auch gemeinsame Unternehmungen auf dem Plan, zum Beispiel ein Ausflug in den nahegelegenen Königsforst, wo wir, mit einem Uher-Report-Tonbandgerät bewaffnet, das Konzert der Frösche in einem versteckten Tümpel aufnahmen oder eine Fahrt zu Kohlensäurequellen in der Vulkaneifel. Auf Bildern aus dieser Zeit kann man einzelne Vinegar-Mitglieder auf riesigen Stahlhalbkugeln herumklettern sehen. Diese waren dort aufgestellt worden, um die aus dem Boden ausströmende Kohlensäure aufzufangen und vermittelten durch ihr Aussehen und die Art ihrer Anordnung den Eindruck einer Station auf dem Mars.
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Kohlensäurequellen in der Eifel Foto: Ralf Modrow |
Die LP ist übrigens 1971 weitgehend live eingespielt worden. Lediglich der Gesang und einige Soloparts wurden im Playback-Verfahren aufgenommen. Nach meiner Erinnerung fuhren wir am Morgen des 9. Januar 1971 in Köln los und mittags begannen dann im Studio Rottenburg die Aufnahmen, die bis gegen ca. 23 Uhr dauerten. Ich glaube, Dagmars Blockflöten-Solo ist dann am nächsten Morgen noch einmal eingespielt worden, ansonsten blieb für Nachbesserungen keine Zeit. Möge der geneigte Zuhörer in Anbetracht dieser Umstände also über die eine oder andere Unzulänglichkeit der Aufnahmen hinweghören: „Just lean back and enjoy!““
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Uns erreichte die traurige Nachricht, dass am 10.11.2011 unser Schlagzeuger und Gründungsmitglied Wolfgang Grahn verstorben ist. In den letzten Jahren seines Lebens hatte er sich intensiv dem Studium und der Lehre des Gälischen gewidmet. Sowohl seine Texte als auch seine musikalischen Einflüsse haben die Stücke von Vinegar wesentlich geprägt. Wolfgang, bis dann!
Die Fotos stammen vom Treffen einiger Bandmitglieder am 22.10.2006.
Uns erreichte die traurige Nachricht, dass am 01.11.2020 unser Bassist und Gründungsmitglied Bernhard Liesegang verstorben ist. Die letzten Jahren seines Lebens verbrachte er in in Apolda. Sowohl seine Texte als auch seine musikalischen Einflüsse haben die Stücke von Vinegar wesentlich geprägt. Bernhard, gute Reise!
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(Foto: 2015)
Bernhard Liesegang * 1949 † 01.11.2020
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Zum Schluß noch zwei Stimmen zu Vinegar:
Steven und Alan Freeman schreiben in “The crack in the cosmic egg” (Leicester 1996): „Vinegar spielten psychedelisch gewürzten Rock, vergleichbar mit Tractor oder Elias Hulk, doch mit einem sehr deutschen Klang, vielen Instrumentalabschnitten und Gitarrenläufen, ähnlich wie bei Gomorrha. Ein unbekannter Edelstein einer rätselhaften und innovativen Gruppe.“
Und in „Cosmic dreams at play“ von Dag Erik Asbjørnsen (Glasgow 1996) liest man: „Diese rätselhafte Gruppe veröffentlichte 1971 eine hervorragende Platte nach Garagen-Underground-Progressiv-Art. Vinegar könnten zusammen mit Mammut als eines der wichtigsten Beispiele solcher Bands eingestuft werden. Zu Eurem Vergnügen kommt hier ein näherer Blick auf ihre fesselnde Platte: ,Missi Solis‘ beginnt auf langsame, lyrische und unheilvolle Weise, in einer düsteren Stimmung, wie von Pink Floyd 1969 erzeugt. Eine Geige setzt ein und bringt ihren kurzen Solo-Auftritt zu großartiger Wirkung, bevor Gitarre und Orgel das Leitthema weiterentwickeln. ,Sawmill Teil I‘ ist ein Garagenrock-Stück mit Gesang nach Art von Renate Knaup, das alsbald abhebt in einen überirdischen Raum von fremdartigen Klängen ,A saucerful of secrets‘ neu erschaffen. ,Sawmill Teil II‘ klingt eher nach Amon Düül II, vorangetrieben von Geige, Tasten und Gitarre. ,Der Kaiser auf der Erbse‘ geht in eine andere Richtung, plötzlich stürmen betrunkene Goten das Studio. Das letzte Stück ist ,Fleisch‘, eine instrumentale Rückkehr zu den beinahe klassischen Themen, die in der zweiten Hälfte von ,Missi Solis‘ vorgestellt wurden. Schlußfolgerung: Diese Platte ist wirklich toll, geht los und besorgt sie Euch!“
Ein Artikel von Georg Biemann in der Schülerzeitung "PONS" anläßlich des Erscheinens der Vinegar - LP:
(Für bessere Lesbarkeit bitte auf das Bild klicken)
VINEGAR were coming from Cologne and belonged to the progressive rock bands playing in Germany.
In November 1968 Wolfgang Grahn (*1950 in Betzdorf an der Sieg), Bernhard Liesegang (*1949 in Bassum), and Jochen Biemann came together. Bernhard Liesegang and Jochen Biemann who went to the same school like Wolfgang Grahn, were already attending university. They not only decided to perform together, but to become a band. Self-teaching they enhanced their musical abilities, which, when they got started, yet needed to be improved. Wolfgang Grahn was on drums, Jochen Biemann on guitar, and Bernhard Liesegang on bass and vocals. Mainly in the beginning, Bernhard and Jochen still interchanged their instruments with some songs. Later Dagmar Dormagen joined the group. She was a friend of Wolfgang and lived quite close to him, just around the corner. Dagmar not only played recorder, but also sang. As a band name they chose “Vinegar”, because of wanting to play music hard to digest, in opposition to the “sweet stuff” others were playing. The band was joined by various musicians, who neither didn’t stay very long, nor were integrated very close. At the end of 1969 Rolf Zwirner, performing on guitar and violin, at the beginning of 1970 Ralf Modrow (*1951 in Halle an der Saale), on organ and additionally on vocals, had joined the group. With those two the final line-up of Vinegar was definite. Their rehearsal room was at the house of Bernhard Liesegang’s parents.
On 10/11/1970 Vinegar had, among others, a gig at the “Pop-Festival im Action-Center”. The pop festival figured as a contest, with bands coming all over the country and Vinegar even came in third place. The event took place during the Photokina (Hall 14), one of the fairs which can be found regularly at Cologne-Deutz. Among the audience had been Günter Purrmann, the son of Werner Purrmann, music publisher in Unterjesingen, a small town close to Tübingen. When Günter introduced Vinegar to his father, Werner Purrmann, the latter was that enthusiastic about their music that he invited the group to do some recordings. They took place on January 9th, 1971 at the Studio Rottenburg, conducted by Kurt Schuh. Five tracks had been developed, from the ideas of the band's members, already during their rehearsals.
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Günter Purrmann |
These tracks were then released, in 1971, on LP under the title of “Vinegar” (Phono Verlag Werner Purrmann WP 710101 / RESCO TST 76992) in a number of 1000 copies, done by a press factory belonging to Teldec in Hamburg. Publishing rights were with the late Werner Purrmann.
The cover, designed by the band, shows as a seventh member of the group the mysterious Ambrosius Gulbatscher, a self-made dwarf, who lived on the stairs to the first floor of the Liesegang”s home. By his charming character he succeeded, within short time, to belong to the seven permanent members of Vinegar.
Indeed, the five tracks aren’t easy to listen to. They open up to the listener only after being heard several times. In the same 1971 Vinegar was over and done. The reason of the group’s split have been the different opinions on their further musical development.
Anna Z. was part of Vinegar since summer of 1970. Her first gig together with the band was on 22.10.1970 at Hatsch, Kyffhäuser Street in Cologne. She can be heard on several songs on the Tabernakel-Tapes.
Unfortunatele she took not part at the recording of the lp.
After the split of the group she turned to classical music and was as singer part of huge classical choirs such as Philharmonic Choir Cologne, among others.
After the split Wolfgang Grahn played jazz-rock, Bernhard Liesegang experienced with various music styles and groups, and Ralf Modrow concentrated on meditation with Maharishi Mahesh Yogi and later was teaching meditation himself. In the last past years Ralf returned to his being a keyboarder in various bands, recently he is working on musical projects of his own. Dagmar Dormagen lost her life tragically in 1974. The artists dedicate the re-release to her memory.
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Dagmar Dormagen †1974 |
Ralf Modrow remembers: “The times then had been quite crazy. Every Saturday we rehearsed in the Liesegang’s basement. Rolf and Jochen always elicited new sound variations from their self-made fuzz devices. As far as I remember the distorters were integrated into wooden boxes or tin cans. For adjustments you needed a screwdriver. I had a self-soldered Dr.-Böhm-Organ, which turned out to be some kind of a radio: From time to time and absolutely unpredictable, you had coming in a close by stationed broadcasting service on medium wave transmitter, depending on the position of its registers and volume regulator. These sounds mingled with the filigree figures Wolfgang was producing on drums along with the voice of Dagmar. Listening to that voice of her today, I’m always reminded of Nico’s one, which I estimate very much, too. When Bernhard wasn’t on bass, he was doing the French horn, rounding off the sound very individually.
Sometimes we even went on a trip together. For example one day we took off into the woods, to the close by situated Königsforst. There, we registered the concert of frogs in a hidden pond, on an Uher-Report tape-recorder. Or we made a trip to the carbonated springs in the volcanic Eifel. Pictures taken in those times show members of Vinegar clambering on huge hemispheres of steel, which seem to be coming directly from Mars, being a station from out of space. Instead these hemispheres were supposed to collect the carbonic acid coming out of the earth.
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Eifel, carbonic acid fountains Foto: Ralf Modrow |
By the way, the LP of 1971 was registered for the most part live. Only the lyrics and some soloparts were done in playback. I remember us parting from Cologne at nine o’clock in the morning, on January 9th, in 1971. At the Studio Rottenburg, we started with the recordings at midday, which then went on till eleven o’clock at night. I believe Dagmar’s solo on recorder was registered again the next morning other finishing touches couldn’t be made, we had no time. Thus, under the given circumstances, the gentle listener might overhear the flaws and concentrate on the well done parts: ‘Just lean back and enjoy!’”
We are sorry to announce, that on 10/11/2011 our drummer and founding member Wolfgang Grahn died. During the last years of his life he devoted himself intensly to studying and teaching Gaelic. His words as well as his musical ideas have essentially influenced the songs of Vinegar. So long, Wolfgang!
The photographs of Wolfgang were taken at a meeting of some band-members on 22/10/2006.
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We are sorry to announce, that on 01/11/2021 our bass guitarist and founding member Bernhard Liesegang died. During the last years of his life he lived in Apolda. His words as well as his musical ideas have essentially influenced the songs of Vinegar. Bernhard, farewell!
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(Foto: 2015)
Bernhard Liesegang * 1949 † 01.11.2020
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Finally some quotations concerning the LP:
Steven and Alan Freeman are writing in “The crack in the cosmic egg” (Leicester 1996): “Vinegar played psychedelic spiced rock, in the realms of Tractor or Elias Hulk, but with a very Teutonic sound, lots of instrumental and guitar textures akin to Gomorrha. An unknown gem from an obscure and innovative band.”
In “Cosmic dreams at play” (Glasgow 1996) by Dag Erik Asbjørnsen we can find: “This obscure group made an excellent album in the ‘garage-underground-progressive’ genre way back in 1971. Vinegar could be ranked along with Mammut as one of the most important examples of such bands. For your amusement, here’s a closer look at their fascinating album: ‘Missi Solis’ starts off in a slow, lyrical and sinister way, not far removed from a Floyd-type depression from 1969. A violin comes in and makes a short solo appearance to great effect, before the guitar and organ develop the main theme. ‘Saw mill part I’ is a garage rock song with Renate Knaup-like vocals that soon sets off to an outer space of strange sounds ‘A saucerful of secrets’ reborn. ‘Saw mill part II’ is more like Amon Düül II, driven by violin, organ and guitar. ‘Der Kaiser auf der Erbse’ goes in another direction, suddenly drunk Goths enter the studio. The last track is ‘Fleisch’, an instrumental return to the almost classical themes introduced in the second half of ‘Missi Solis’. In conclusion: this album is quite fabulous, go out and get it!”
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